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Leserunde 1

Hallo - wie schön, dass Sie hier sind! Wir sind eine bunt gemischte Gruppe von sieben philosophisch interessierten Leuten. Alle sechs Wochen kommen wir zusammen, um gemeinsam unsere Gedanken zum Thema "Würde" zu ordnen. Dazu lesen wir abschnittweise das in 2013 von Peter Bieri erschienene Buch "Eine Art zu Leben. Über die Vielfalt menschlicher Würde." Im Gespräch über die vielfältigen Aspekte und Sichtweisen, die der Autor uns als Diskussionsgrundlage anbietet, bekommen wir anregende Impulse, die Gedanken zu vertiefen über das Thema. So gewinnt ein Jedes für sich erhellende Einsichten über die eigene begriffliche Auffassung von Würde. Hier, in diesem Forum möchten wir Euch dazu anstiften und einladen, das Buch ebenfalls zu lesen und mit uns darüber - zur gegenseitigen Befruchtung - in einen gedanklichen Austausch zu kommen.

Einleitung

In der Einleitung macht uns der Autor darauf aufmerksam, dass er das Buch in der 'Tonlage des gedanklichen Ausprobierens' geschrieben hat und dass er bewusst auf die Vergegenwärtigung vertrauter Erfahrungen abzielt.

Bieri unterscheidet 'Würde' zunächst als

  • ein Anrecht, das ein Jedes in sich tragt
  • Lebensform 

Das Buch ist der Versuch, sich der „Würde als Lebensform“ in drei Dimensionen zu nähern:

  • Wie gehen andere mit mir um? 
    • Zerstören / beschädigen sie meine Würde?
    • Gewahren sie meine Würde? 
  • Wie bewahre ich mir meine Würde im Umgang mit anderen? 
  • Wie erfahre ich 'Würde' an / in mir selbst? 
Zusammenfassende Sätze aus den Seiten 11 – 32 des 1. Kapitels

Bieri grenzt den Menschen als „Subjekt“ gegenüber Objekten, Gegenständen, Dingen und Körpern ab, indem er diesen als „Zentrum des Erlebens“ beschreibt, das sich in zeitlichen Dimensionen orientiert.

Aus dem Erleben entsteht das Verhalten, das bewusst oder unbewusst passieren kann. Und erst wenn ein Mensch bewusst zum 'Urheber' seines Verhaltens wird, nennen wir das 'Handlung'. Das reflektierte Erleben verursacht also ein bewusstes Tun.

Unsere Motive für das Sinn geführte Handeln, können wir durch Sprache gegenüber Anderen ausdrücken. So formulieren bzw. erzählen wir unsere Geschichte(n) in einem zeitlichen Raster aus Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Dadurch entsteht unser Selbstbild – d.h. wie wir uns selbst sehen:

  • so, wie wir sind 
  • so, wie wir sein möchten 
  • so, wie wir sein sollten. 

Betrachten wir dieses Selbstbild unter „bewertenden“ Gesichtspunkten, dann arbeiten wir an unserer Identität. (vgl. S. 12 - 16)

Würde als Selbständigkeit

Zunächst bietet uns Peter Bieri als Beispiel einen „Wettbewerb im Zwergenwerfen“ zur Diskussion an, zu dem er zufällig auf einem Jahrmarkt dazu kam. Spontan empfindet er die Situation als entwürdigend für den geworfenen kleingewachsenen Mann:

„Dem geworfenen Menschen wird die Würde genommen, weil außer Acht gelassen wird, daß er auch ein Subjekt ist. Dadurch wird er auf einen bloßen Gegenstand, auf ein Ding reduziert, und in dieser Verdinglichung liegt der Verlust der Würde.“ (S. 25)

In Abgrenzung zu einer lebensbedrohlichen Situation – z.B. wenn ein Feuer ausbricht – führt Bieri auch das Motiv für das Werfen eines anderen Menschen als maßgeblich für den Würde-Verlust an:

„Einer, von dem klar ist, daß er ein Subjekt ist, wird ohne Not und planvoll wie ein Objekt, ein Ding, behandelt.“ (S. 26)

Der geworfene Zwerg wird als 'Körper' reduziert und dadurch als 'Spielzeug' bzw. 'Wurfgeschoss' zur Belustigung der Menschenmenge eingesetzt.

Genau diese Reduzierung eines Menschen bewerteten die Richter des Conseil d'Etat in ihrem Urteil als „Verletzung der Menschenwürde“. Und die Kommission für Menschenrechte der UNO schloss sich dieser Auffassung an und wies die Klage gegen das 'Verbot des Zwergenwerfens' ab.

Bieri kommt nach der Veranstaltung auf dem Jahrmarkt mit dem geworfenen Zwerg in ein Gespräch über Würde. Der kleinwüchsige Mensch argumentiert entgegen Bieris Empfinden so, dass er die Situation nicht als Verletzung seiner Würde wahrnimmt, sondern als reine Vermarktung seiner Person, um so - in Ermangelung anderer beruflicher Perspektiven – seinen Lebensunterhalt zu verdienen. Er beruft sich darauf, dass es seine freie Entscheidung war, dem Wettbewerb zu zustimmen. In dem Dialog erkennt Bieri:

„Ich war in dem Gespräch in gefährliche Nähe zu einer Behauptung geraten, die gelautet hätte: Sie führen, beruflich gesehen, ein würdeloses Leben.“

und

„Unsere Urteile über Würde hängen nicht nur vom Tun ab, sondern auch von der Situation.“ (S.32)

RPS